Der Ruhrpottologe unterwegs im Ruhrgebiet

Andre Brune

Gründerin Doris Wagner vom Verein Gegenwind in Bottrop #47

Im Gespräch mit der Vorsitzenden Doris Wagner & Beate Braun

21.11.2022 78 min Ruhrpottologe André Brune

Zusammenfassung & Show Notes

Lernt das Ruhrgebiet kennen mit dem selbsternannten Ruhrpottologe. Im Podcast "Ruhrpottologe unterwegs" spricht er mit Heimatliebe und Dialekt über Literatur, Kunst, Orte und mit Menschen aus dem großen Ballungsraum des Ruhrgebiet.

Gegenwind e.V. leistet seit genau 30 Jahren unverzichtbare Arbeit in der Beratung bei sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen. Präventionsarbeit an Bottroper Schulen und Kindergärten ist das A und O für die Mitarbeiter:Innen des Vereins. Das aufschlussreiche Interview im Podcast mit der Vorsitzenden Doris Wagner und langjährigen Mitarbeiterin Beate Braun ist ein besonderes gewesen, denn zur gleichen Zeit ist der Aufklärungsfilm „Fritz & Frida“ veröffentlicht worden. In Bottrop ist der Verein längst eine starke Institution, die woanders in dieser Form im Ruhrgebiet zu suchen ist.

Der Name Gegenwind ist Motto

Gegenwind will gegen den Strom schwimmen, so dass Kinder sich wehren können, weil sie aufgeklärt werden. Gegenwind arbeitet präventiv, so dass Erwachsenen Einhalt geboten wird. Gegenwind zeigt, dass Gegenwehr wichtig ist, um Schlimmeres abzuwehren. Gegenwind wurde zur Präventionsinstitution, zum Aufklärer und zum Psychologischen Betreuer. Gegenwind wurde zum Kümmerer für Missbrauchsopfer und Verhinderer für zukünftige Opfer. Das gebührt Respekt gegenüber allen Beteiligten, die sich diesem sehr schwierigen und früheren Tabuthema an die Öffentlichkeit gezerrt haben. Meinen Respekt haben sie.

Wenn sich auch meine Podcast-Veröffentlichung aus privaten und beruflichen Gründen leider verzögert hat, ist es mir ein großes Anliegen gewesen, dass der Verein von mir besucht wird. Gegenwind setzt nicht nur auf Prävention, sondern kümmert sich auch um Missbrauchsopfer. Doris Wagner und Beate Braun haben im April bei der Auktion für Missbrauchsopfer zudem auch noch mein Bild des behinderten Künstlers ersteigert und haben im Warteraum einen besonderen Platz dafür vorgesehen. Das Geld der Auktion ist als Spende in drei unterschiedlichen Institutionen weitergegeben worden: Förderverein für die Kinderklinik Marienhospital und die Kunstwerkstatt  Rheinbaben in Bottrop und den Verein Clownsvisite in Essen.

Ich hatte ja keine Ahnung, dass der Verein Gegenwind zu einer Zeit entstand, als dieses Tabuthema Missbrauch an Kindern und Jugendlichen hinter vorgehaltener Hand und in entsprechenden Institutionen hinter verschlossenen Türen besprochen wurde. Noch in den 1990er Jahren waren Geschichten um das „Anfassen“ eher humorvoll oder ironisch heruntergespielt worden, wenn es in der Gerüchteküche brodelte, um die vermeintliche „Sache“ zu überspielen ohne selbst genauer nachzuhaken. Manche Eltern sahen die Warnzeichen aus Unwissenheit oder Verblendung auch einfach nicht, wenn das Kind von einem Onkel, Tante oder Trainer, langanhaltenden Wangenküsse, Hände an Po, Schritt oder Brust erzählte. Manchmal wurde das Kind für schuldig erklärt oder die beschuldigte Person in Schutz genommen, weil man es nicht glauben konnte. Täter sind oft unscheinbar, rechtschaffen, unauffällig oder der nette Verwandte würde doch so eine „Sache“ nicht machen. Hinterfragt wurde wenig, bis die ersten öffentlich diskutierten Fälle im Sport und der katholischen Kirche auftraten.

Das eben nur hinter verschlossenen Türen bei Ärzten, Psychologen, Richtern, Polizisten und Pädagogen die Fälle diskutiert wurden, war ein Grund sich zusammen zu tun und einen Verein 1992 zu gründen. Der Verein in Bottrop sollte Aufklärungsarbeit als Prävention anbieten und ein offenes Ohr für Betroffene sein. Die Vereinsarbeit sollte zu einer Verringerung sexualisierter Missbrauchsfälle beitragen. Mit Fug und Recht kann gesagt werden, dass der Verein das geschafft hat. Alles aufzudecken funktioniert natürlich nicht, aber ein Großteil der dreißigjährigen Arbeit ist geschafft worden.

Mittlerweile hat sich der Verein auch dem Wandel der Zeit angepasst. Denn die Einfachheit über das Internet Bilder durch das Smartphone zu verschicken ist ein neues Problem. Kaum einem Jugendlichen ist bewußt, dass Persönlichkeitsrechte beim Verschicken von Daten und Fotos verletzt werden. Der psychologische Druck kann sogar in einigen Fällen zum Selbstmord führen.

Bildmaterial, das in den sozialen Medien von Facebook, Instagram, TikTok u.a. landet, kann nicht einfach bis auf Weiteres gelöscht werden. Hat jemand in Australien die Fotos zufällig entdeckt, heruntergeladen und nutzt sie unwissend vom Opfer weiter, dann kann gegen diese Person gesetzlich nichts unternommen werden. 

Fritz & Frida

Die Form der „unwissenden“ Diskriminierung und sexualisierten Missbrauchs, versucht Gegenwind, wie der Name schon sagt, entgegenzuwirken. Das Theaterprojekt startete vor 25 Jahren und wird bis heute erfolgreich angewendet. Manchmal kann das ein oder andere Kind dadurch in ihrem Verhalten „entdeckt“ werden und einer Beratung „zugeführt“ werden. Lehrer, die manche Verhaltensweisen sehen, nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen, sind dankbar, wenn durch dieses Theaterstück und die Aufklärungsarbeit von Gegenwind den Kindern geholfen werden kann. Der neue Film „Fritz & Frida“ geht noch einen Schritt weiter in die moderne Medienvielfalt und seine Tücken. Das zeigt, wie wichtig die Aufklärungsarbeit des Vereins ist und Schlimmeres eben verhindern kann

Filmthema: Wie gehe ich verantwortungsbewußt als Jugendlicher mit den Medien um, um nicht strafrechtlich verfolgt zu werden?

Darf ich ein Foto weiterschicken, wenn ich heimlich jemanden fotografiert habe?

Jugendliche probieren alles aus, meist ohne zu wissen, dass sie vielleicht strafrechtlich verfolgt werden können. Sollte es einen Fall für einen Richter geben, steht oft genug Beratungseinheiten bei Gegenwind auf dem Plan.

Noch nie wurde so ein sensibler Aufklärungsfilm dieser Art hergestellt. Der Verein hat es sich zu seiner Aufgabe gemacht, mit Hilfe von Unterstützern diesen selbst herzustellen, der in drei kleine Filme aufgeteilt ist, um zwischendurch mit den Anwesenden Kindern und Jugendlichen zu diskutieren.

In den Räumlichkeiten auf der Essener Straße 13, im ehemaligen ersten Möbelhaus der Firma Beyhoff, dessen Räumlichkeiten auch für die Arbeit des Vereins wohlwollend zur Verfügung gestellt werden, befindet sich eine Sauna. Die Sauna ist im Rahmen der Vereinstätigkeit ein abgeschiedener Raum zum Reden. Dort können ungestört die Kinder und Jugendliche mit einem Betreuer über ihre Situation reden.

Der Film „Fritz & Frida“ wird nicht im Internet zu sehen sein. Er soll individuell in den Schulklassen mit den Kindern und Mitarbeitern von „Gegenwind“ gezeigt werden, um die gesehenen Situationen aufzuarbeiten und anschließend darüber auch zu diskutieren. Kindern und Jugendlichen ist meist nicht bewußt, dass ein freies sexuelles Foto oder eine eher in der Situation abwertendes Foto auch zu einem starken psychologischen Einschnitt für die Zukunft im Leben des Betroffenen kommen kann, die im schlimmsten Fall auch zu Suizid führen kann.

Dies ist ein weiterer Grund, den dreißig Jahre alten Verein mit seinen positiven Erfahrungen zu unterstützen in seiner Arbeit, die sich immer wieder dem Wandel der Zeit angepasst hat. Eine bessere Vernetzung im Ruhrgebiet ist ebenfalls in Planung.

Die Finanzierung des Films ist durch eine große Medienkampagne in der Stadt durch die Bottroperin Karolina Köster zusammen mit der Bottroper Zeitung und ihrer Kampagne #starkgegensexuellenmissbrauch durch städtische Persönlichkeiten, Sportvereine und Unternehmen unterstützt worden. So sind die 45000 € zusammen gekommen, die für die Fertigstellung gebraucht wurden.

Der Film „Fritz & Frida“ kann beim Verein nachgefragt werden.

 

Suche nach Honorarkräften

Immer wieder werden Menschen gesucht, die für den Verein auf Honorarbasis Präventionsarbeit in den Schulen unterstützen möchten. Studenten oder Menschen mit pädagogischem Hintergrund oder einfachem Interesse an der Sache sind herzlich eingeladen. Es lohnt sich auch einfach mal mitzugehen, um zu entscheiden, ob einem die Arbeit passen würde. Zehn Honorarkräfte und vier hauptamtliche Mitarbeiterinnen arbeiten mittlerweile für den Verein. Honorarkräfte können, wie Beate Braun, auch Quereinsteiger sein. Sie werden von ihr geschult. Direkt in den Projekten wird in Schulen und Kindergärten herausgefunden werden, ob man Feuer und Flamme für die Arbeit im Verein ist. Idealismus und Herz sind wichtig für die Einstellung zur Arbeit, dass alle besitzen, die diese schwierige Aufgabe der Aufklärungsarbeit machen. Der Honorarsatz ist 25 € pro Stunde.

Das Bild „STOP“ auf der Hand wurde ebenfalls bei der Auktion im April bei der Selbsthilfegruppe Missbrauch….ersteigert. Das Bild fließt in die Projektarbeit ein. 

Beate Braun, ein Stützpfeiler des Vereins

Beate Braun, die gelernte Buchhändlerin, zugezogen aus Bielefeld, lebt und liebt leidenschaftlich für diese besondere Arbeit der Prävention. Sie weiß, dass schon Vielen geholfen und mit der Arbeit auch gleichzeitig Vieles verhindert werden konnte. 

Vor 12 Jahren ist Beate Braun durch einen Elternabend auf den Verein aufmerksam geworden. Beeindruckt von der Arbeit und als Mutter, die anderen helfen wollte, nahm sie den Telefonhörer in die Hand und stellte sich beim Verein vor. Seit vier Jahren ist sie nun in Teilzeit angestellt. Sie macht Elternabende zu den Schulprojekten, Fortbildung für Lehrpersonal, verstärkte Projekte für das  Internet und weiterführende Schulen. Als ausgebildete Buchhändlerin und Betriebswirtin ist sie heute noch süchtig nach Buchstaben. Der Wunsch eine eigene Buchhandlung zu gründen löste sich im Zuge des Wandels auf dem Buchmarkt in Luft auf, so arbeitete sie lange im kaufmännischen Bereich. Doch mit Computer arbeiten war ihr auf Dauer zu langweilig. Sie begann eine gesprächstherapeutische Ausbildung und suchte eine Möglichkeit, mehr mit Menschen und Kindern in Kontakt zu kommen. Die Arbeit im Verein hat ihr als Quereinsteigerin genau das geboten und so ist sie mittlerweile ein wichtiger Pfeiler bei Gegenwind. Wer Interesse hat, wird von Beate in die Arbeit des Vereins eingeführt und geschult.

Beratungsstelle lotet aus

Sollte ein Kind eine besondere Auffälligkeit zeigen und aus der Familie herausgenommen werden müssen, wird mit dem Jugendamt gesprochen. Gegenwind hat Kontakt zu Pflegefamilien und arbeitet mit dem Sozialdienst Katholischer Frauen (SKF) zusammen, die wiederum Pflege- und Adoption mit Kooperation des Jugendamtes organisieren.

Gegenwind wollte von Anfang an politisch, wie religiös, neutral arbeiten, um allen Betroffenen eine Möglichkeit der Beratung zu bieten. Oberste Priorität des Vereins ist Kinder stark machen, Kinder begleiten, schützen, sensibel machen und ernst zu nehmen. Es gibt Kontakt zu Nachbarstädten. 

Der Rote Keil

Der bundesweite Verein „Der rote Keil“ kümmert sich um die Problematik von  Kinderprostitution und Kinderarbeit und unterstützt den Verein bei seinen Präventionsprojekten. 

 

Weitere Informationen

Adresse:

Gegenwind e.V.

Essener Straße 13

46236 Bottrop

Tel: 02041-20811

Fax: 02041-76 57 88

Telefonische Erreichbarkeit:

Mo-Fr 10 – 13 Uhr

Beratungstermine nach Vereinbarung


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